Yukio Mishimas Bekenntnisse einer Maske ist die erste wichtige homosexuelle Erzählung aus Japan seit Ihara Saikakus Der Liebespfad der Samurai. Zumindest soll Mishima selbst genau das einst behauptet haben. Mehr als 250 Jahre liegen zwischen den beiden Büchern, die 1687 und 1949 erschienen sind und in dieser Zeit hat sich Japans Einstellung gegenüber der Männerliebe radikal geändert. Ein Wandel, der auf den wachsenden Einfluss des Westens zurückzuführen ist. Wie viel Gewicht man auch immer Mishimas Aussage schenken mag, Bekenntnisse einer Maske ist einer der Klassiker der schwulen Literatur. Und 2018 wurde dieser vom Kein & Aber Verlag glücklicherweise zum ersten Mal direkt aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt.
Der Roman und sein Protagonist sind – wie bei den meisten schwulen Erzählungen – stark von der Autobiographie des Autors geprägt. Kochan wächst bei seiner Großmutter auf, ist von früh auf kränklich und entspricht nicht dem männlichen Idealbild – das erinnert natürlich an Marcel Proust, der im Roman auch Erwähnung findet. Prägende sexuelle Erfahrungen sind die Begegnungen mit einem Latrinenreiniger und mit den Straßenbahnfahrern in ihren Uniformen, deren Leben er sich nur als tragisch – tragischer als das eigene – vorstellen kann. Aber auch der Schweißgeruch der durch die Straßen marschierenden Soldaten, „ein Geruch wie der salzige Meereswind oder wie die Luft der goldverbrannten Küste, ein Geruch, der in meine Nasenlöcher schlug und mich berauschte“ verfolgt ihn. In einem Bildband stößt Kochan auf ein Bild des Heiligen Sebastian, gemalt von Guido Reni.
„Ein ausgesprochen hübscher Jüngling stand nackt davor, die hoch über dem Kopf gekreuzten Arme waren an den Handgelenken mit einem Strick an den Stamm gefesselt. Andere Fesseln waren nicht zu sehen, doch man hatte dem Jüngling, um seine Blöße zu verdecken, ein loses weißes Tuch um die Lenden gewickelt. (…) Man könnte ihn für einen römischen Athleten halten, der in der Abenddämmerung erschöpft an einem Baum im Garten lehnt, um ein wenig auszuruhen – wären da nicht die Pfeile, die mit ihrem Schaft tief in seiner linken Achselhöhle und rechts in seiner Flanke stecken.“
Das Bild verschafft dem Jungen seinen ersten Orgasmus. Seine Fantasien sind Gewaltorgien. Er träumt von penetrierenden Klingen, Blut, welches über blasse Haut fließt und Männerkörpern, die er sich einverleibt. Aber auch von dem eigenen Tod fantasiert er und von dem seiner Familie wie bei einem Bombenangriff während des Zweiten Weltkrieges ums Leben können. Denn der Tod ist träge und faul, er kostet keine Mühe wie die Maske, die Kochan sich auferlegt, um sein Begehren zu verheimlichen. Gleichzeitig ist der Tod unwiderruflich mit Kochans Vorstellung von Männlichkeit verknüpft.
Neben Proust und dem Heiligen Sebastian sind es auch Ikonen der schwulen Literatur wie Stefan Zweig und Magnus Hirschfeld, die im Roman Erwähnung finden. Mishima ließ sich sogar für eine Fotoserie als der Heilige Sebastian, der immerhin inoffiziell als Schutzheiliger der Schwulen gilt, inszenieren. Denn im echten Leben trieb Mishima das Spiel mit der Maske weiter als Kochan. Mishima lernte Kampfsport und betrieb Bodybuilding, alles, um seinen kränklichen Körper zu stählern und seinem Männerideal zu entsprechen. Er schlief mit Frauen und war Vater zweier Kinder. Auch Kochan versucht eine Beziehung mit einem Mädchen einzugehen, der jungen Sonoko, doch diese ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Und auch die Todesfantasien trieb Mishima weiter.
Am 25. November 1970 sammelte Mishima mehrere Studenten um sich und versuchte durch einen Putschversuch die Wiedereinsetzung des japanischen Kaisers zu erzwingen. Als dieser scheiterte, beging er vor seinem Liebhaber rituellen Selbstmord mit einem Samuraischwert. Abseits von Mishimas rechten Gedankengut zeigt dieser letzte Akt die gesamte Tragik seines Lebens und Denkens. In einem Versuch sich dem vermeintlich fortschrittlicheren Westen anzunähern, hat Japan viele seiner alten Werte hinter sich gelassen. Zur Zeit der Samurai wurde die Liebe zwischen Männern nicht nur geduldet, sie wurde zelebriert und nachgeeifert. Hier hätte es keiner Maske benötigt.