Essay, Autobiographie, Lyrik, queere Theorie: Maggie Nelsons The Argonauts lässt sich nicht so einfach kategorisieren. Wie auch seine Protagonist*innen Maggie Nelson und Harry Dodge und deren Liebe bewegt es sich im Dazwischen, wie „the Argonaut renewing his ship during its voyage without changing its name.“ Das bedarf einer Sprache, deren Wörter und Sätze mit jeder Artikulation etwas Neues bedeuten kann. Denn Nelson fürchtet die Sprache nicht, sie weiß, dass Worte immer gut genug sind.
Maggie Nelson und Harry Dodge, zwei Körper, die einen Wandel, eine Transformation durchmachen. Maggie Nelson wird schwanger, Harry Dodge beginnt Testosteron zu nehmen. Harry Doge identifiziert sich selbst als ‚femme butch on T‘, die Transformation selbst ist keine Reise von A nach B, keine endgültige Auflösung: „[S]ometimes that shit stays messy.“ Während sowohl männliche als auch weibliche Kritiker in der Zeit und dem Tagesspiegel Dodge das Pronom „Er“ aufstempeln, entscheidet sich Nelson in ihrem Text für das neutrale „Du“, sie wird eine Meisterin im Umschiffen von Pronomen (Harry Dodge präferiert im Übrigen das Pronomen they/them, für das es im Deutschen noch kein einheitliches Äquivalent gibt).
„Perhaps it’s the word radical that needs rethinking. But what could we angle ourselves toward instead, or in addition? Openness? Is that good enough, strong enough? You’re the only one who knows when you’re using things to protect yourself and keep your ego together and when you’re opening and letting things fall apart, letting the world come as it is—working with it rather than struggling against it. You’re the only one who knows. And the thing is, even you don’t always know.“
Aber wie radikal, wie queer kann das eigene Leben mit der Öffnung der Ehe und der Erfüllung des Kinderwunsches noch sein, wenn also queere Menschen ein scheinbar durch und durch heteronormatives Leben führen können? Nelson unterzieht sich und ihrem Körper eine gnadenlose Selbstanalyse, um die Grenzen von Queerness, Geschlecht und Sprache auszuloten. Darüber hinaus ist The Argonauts aber auch eine Reflexion über (queere) Mutterschaft. Wo beginnt und wo endet der eigene Körper, die eigene Person? Immer wieder fließen Gedanken und Zitate von Denkern wie Deleuze, Barthes, Butler, Irigaray und Sedgwick in den Text ein, um Fragen auf diese Antworten zu finden. Das mag erschreckend wirken, ist aber zum Glück immer spannend, nie distanziert und fühlt sich oft wie eine kleine Offenbarung an.
Dafür, dass Nelson so offen über ihr Leben und ihre Sexualität berichtet, attestiert ihr der Tagesspiegel eine „Sexbesessenheit“. Nelson würde vermutlich argumentieren, dass ihre Perversitäten und die des Kritikers einfach nicht zueinanderpassen. The Argonauts ist queerer Feminismus wie er besser nicht sein kann: wild, schmutzig, poetisch, radikal. Ein Buch, das man immer wieder mittendrin aufschlagen und etwas Neues entdecken kann.